Verrätselnder Fabulierer

Peter Dering

Natürlich kann man sich unmittelbar, spontan an den Bildern von Werner Friedrichs erfreuen. Schnell stellt sich ein Zugang ein, seien es die zahlreichen realistischen Details in denen sich der Betrachter verlieren kann, seien es die farblichen Harmonien, die gefallen, wie es generell die handwerkliche Perfektion ist, die auch dem Laien Respekt abnötigt. Schaut man länger hin, bemerkt man die eine oder andere Merkwürdigkeit. Bildpointen, die nachdenklich werden lassen. Noch komplexer wird die Angelegenheit, wenn wir uns bewusst machen, was sich hier an narrativer Vieldeutigkeit ereignet.

Was heißt das eigentlich: narrativ?

Sicherlich haben die steinzeitlichen Höhlenmalereien nicht vornehmlich einen erzählerischen Charakter. Hirsche, Bären und Mammuts sind dort eher fetischartige Idole, die malend beschworen werden. Aber mit Sicherheit beginnt schon sehr früh in der Geschichte der Kunst das bloße Schildern, das Festhalten von Erlebtem. Wandmalereien in den Grabkammern der Ägypter oder Etrusker halten bereits Szenen aus dem Alltagsleben der jeweiligen Kulturen fest. Also das, was in späteren Zeiten als Genremalerei  bezeichnet wird.

 

Malerei, in der Menschen auftauchen, ist, einmal abgesehen von reinen Porträts, immer erzählerisch. Das kann sich im hohen Ton abspielen, in der Historienmalerei, wo es immer um herausragende Situationen in der Geschichte geht, vornehmlich in der religiösen Historie, die immer ganz oben in der Gattungshierarchie stand. Das kann aber auch, wie schon oben erwähnt, ein Blick auf das Leben der „einfachen“ Leute sein, in der Fotografie würde man von einem Schnappschuß sprechen. Erst spät kommt etwas aus der Rolle fallendes, etwas ganz Spezielles hinzu.  Ironie, Bildwitz, der Reiz des Absurden.  Sie sind Erfindungen der jüngeren Vergangenheit, auch wenn wir vereinzelt karikaturenhafte Skizzen, aus dem Barock etwa (Bernini) kennen. Es scheint ein Phänomen des modernen Menschen zu sein, die Welt nicht einfach als etwas Gegebenes wahrzunehmen. Aussenseiter hatten ausnahmsweise schon früher einen etwas anderen Blick auf das Große (und kleine) Welttheater, Hieronymus Bosch und Breughel der Ältere etwa, später finden wir großartige Individuen wie Hogarth in England oder Goya in Spanien, die an ihrer Zeit schier verzweifeln. Im zwanzigsten Jahrhundert wird die Ausnahme dann aber fast zur Regel, eine ganze Kunstrichtung benennt sich nach dem Surrealem.

Die Absurdität menschlicher Existenz ist nach den mörderischen Weltkriegen und nach Auschwitz eine bestimmende Konstante in unserer Kultur geworden.
Es ist dennoch zu kurz gegriffen, in Werner Friedrichs einen anklagenden Vertreter kulturkritischer Kunst zu sehen. Pathos ist seine Sache nicht. Parteinahme auch nicht. Aber das, was sich in seinen Gemälden abspielt, was da gespielt wird, ist sicherlich zeittypisch, hätte nicht in anderen Epochen so gesehen und gemalt werden können.
Was charakterisiert denn nun seine Malerei? Ich zögere, hierauf eine eindeutige Antwort zu geben. Friedrichs Kunst entzieht sich gerne und hintergründig spottend dem Festlegbaren. Ist er Karikaturist?  Jein. Ein gewisses übersteigerndes Element, die zuspitzende Pointe ist ihm nicht fremd. Aber die Karikatur sucht immer das Eindeutige und genau das wird man in seinen Bildern nicht finden. Einen Bildwitz gibt es, die Illustration eines Witzes hingegen nicht. Liebevoll, fast väterlich fühlt Werner Friedrichs sich in seine Figuren ein. Zumindest, was die Einzelgänger angeht, meistens jedenfalls. Bei den Gruppen bin ich mir dagegen ganz und gar nicht immer seiner Sympathie sicher.  Aber diese sonderbaren Individuen, die er in seinen Bildwelten herumirren lässt: Der arme "Eisesser", aus dem Jahr 2003 etwa,


Der Eisesser

offensichtlich ein Misanthrop, der seinen Eisbecher nicht im italienischen Eiscafé von Castrop-Rauxel verspeisen mag. Schwupps! Stadt weg, Café weg, Kellner und Kunden weg, alles weg. Und schon sitzt unser Freund ungestört in einer Toskana-Landschaft . 

Die bei näherem Hinsehen auch nicht sehr lauschig ist. Zu gerne wüsste ich, wer im "Heimgang" von 1993 selbigen antritt. Und was hat es mit all den Vögeln in den Bildern für eine Bewandnis? Immer wieder Frag-würdiges. Man täusche sich übrigens nicht, die einfach anmutende Klarheit der Kompositionen ist äusserst genau geplant. Kompositionen, die so präzise gesetzt sind,


Abwärts

dass sie intuitiv wirken. In "Abwärts",  aus dem Jahr 2003 führt die Treppe, entgegen der Leserichtung des Bildes nach links.So wird, gewissermassen ein rückwärtsgewandtes Treppensteigen raffiniert suggeriert. Die Vertreter der Stände und Geschlechter gehen blicklos, blind, "zurück", weichen ihrem eigentlichen Schicksal aus.


Unterwegs

 

"Kein Problem ist so groß, dass man nicht davor weglaufen kann", so formuliert es treffend Linus, Charlie Browns Schicksalsgenosse in den Peanuts-Comics.
Oder die abrupten und jähen Verkürzungen des ungewissen, keinen festen Halt bietenden Bodens wie in der "Landpartie".
Wo befinden sich eigentlich die Leute in "Unterwegs", 2002, oder in "Das Hündchen", 2005?


Das Hündchen

 

Sollte die Erde, wir ahnten es schon, doch eine Scheibe sein? Das Schlendern in Werner Friedrichs Welten ist zugleich eine Art Ritt durch die Kunstgeschichte. Mit einem Augenzwinkern gedenkt er seiner Malerfreunde aus vergangenen Epochen. Pieter Breughel und sein Menschengewimmel, das Watteaus "Kythera", 2006 - schwer gealtert - wieder aufsucht, ohne so recht zu wissen weshalb. Henri Rousseau, der die Zähne im "Janus", von 2008 bleckt.


Janus

 


Das kleine Welttheater

Max Beckmann sitzt im Geist mit in der Loge, wenn Friedrichs 2006 "Das kleine Weltheater" malt. Neue Sachlichkeit, Magischer Realismus. Immer wieder blitzt ein Zitat auf. Glasperlenspiele für den Eingeweihten. Was charakterisiert denn nun seine Kunst?
Möglicherweise das Uncharakteristische. Schaut man sich Friedrichs Werk als Ganzes an, merkt man, höchst überrascht , dass es keinerlei Wiederholungen gibt.  Ganz selten einmal finden sich vergleichbare Details im Bildaufbau, ansonsten wird  jedes neue Bild völlig neu konzipiert. Nicht nur inhaltlich, sondern auch

von der Komposition her. Immer wieder ein Neubeginn.
Übergreifende Gemeinsamkeiten finden sich auf der stilistischen Ebene.


Wiedersehen auf Kythera

Ein Bild von Friedrichs wird man unter diesem Aspekt immer erkennen. In seinen Farbbeziehungen, in den deutlich

voneinander geschiedenen Raumebenen, in der Linienführung. Aber auch in dem Künstlichen der gemalten Schauplätze. In ihrer Kühle, in der keine diffusen Farbschleier wogen. Die Klarheit der Situationen ist aber, inhaltlich gesehen, nur eine scheinbare. Wir erblicken immer wieder präzise konturierte, in der Aussage


Der Falkner

hingegen sehr unbestimmte, mehrdeutige Arrangements, in denen es übrigens nichts Nebensächliches gibt. Friedrichs legt sich, formal gesehen, fest, ist aber inhaltlich ganz und gar nicht festgelegt. Keine Alltagserzählungen, schon gar nicht Historienbilder. Friedrichs Protagonisten werden wie Schauspieler, oder besser Marionetten?, auf eine Bühne, in eine genau benennbare, aber trotzdem völlig anonymisierte Szenerie gestellt. (Eine Ausnahme stellen die, wohl biographisch zu erklärenden Externsteine dar, in "Der Falkner".  Es sind keine Individuen, sondern Typen, die da bedeutungsvoll posieren. Wenn sie auch Individuen typisieren. Der auf dem Bärenfell hoch über den Städten zu fliegen glaubende "Poet" von 2005 beispielsweise.  Eindeutigkeiten, Zweideutigkeiten.
Schauen wir uns einmal ein Bild wie "Die Unterführung" von 1993 näher an. Der Betrachter identifiziert sich sofort mit der Rückenfigur des einsamen Ruderers. Doch Vorsicht! Spontan würden wir mit ihm den bildeinwärts laufenden Fluchtlinien bis zum Horizont folgen. Doch was als – noch – zu bewältigende Bedrohung, zugleich als Faszinosum wirkt, die Steppenwolfbrücke in ihrem sinnlichen Rot und mit ihren eindringlichen Masken von Mann und Frau ist schon längst bewältigt. Unser Ruderer kommt nämlich auf uns zu.


Die Unterführung

Er hat es geschafft, den Sexus hinter sich gelassen (?). Was ihm und uns bevorsteht, wissen wir aber nicht. Die Zukunft schien so licht und klar am Fluchtpunkt des Horizontes zu sein. In Wahrheit lag dort die Vergangenheit. Was kommt, ist unsichtbar hinterm Rücken verborgen. Ist Werner Friedrichs ein literarischer Maler? Naja. Was er uns zeigt, ist  "wortsprachlich" nicht formulierbar. Jedenfalls nicht so lapidar, wie es  bildsprachlich geschieht.

Oder wie soll man beispielsweise die Poesie der schwebenden Bank in der "Nachricht" von 2010 adäquat in Worte übersetzen, ohne trivial zu werden ?


Die Nachricht

Friedrichs wäre übrigens sicherlich ein wunderbarer Illustrator.  Seine Gemälde sind aber autonom und keine Illustrationen.

Peter Dering

Geboren 1953 in Bury/England, lebt in Bad Honneff.
Studium in Bonn (Kunstgeschichte, Archäologie, Volkskunde, Philosophie); Promotion über den Rheinischen Expressionisten P. A. Seehaus; tätig am Kunstmuseum Bonn sowie im Landschaftsverband Rheinland, Kunstkritiker für Tageszeitungen und den WDR, Mitgründer des August Macke Hauses Bonn, dort von 1993-1999 Ausstellungskurator; anschließend Direktor Liner-Museum Appenzell(CH), Museum Schloss Moyland, Clemes-Sels-Museum Neuss. Zahlreiche Publikationen, Vorträge v. a. zur Kunst des 20.Jahrhunderts und der Gegenwart.

 

Auch die Bildtitel helfen da – bewusst – nicht viel weiter. Übrigens: Die Bilder illustrieren, wie schon gesagt, n i c h t eine Geschichte. Die Bilder sind die Bilder, punktum. A b e r sie könnten am Ausgangspunkt für einen Erzähler stehen. Ihre Ambivalenz , Ihre narrative Offenheit könnte Auslöser für ein freies Fabulieren sein. Weshalb sind die Leute in der "Versammlung" von 2006 zusammengekommen? Was geschieht da eigentlich? Wie sah die Kindheit vom "Eisesser" aus? Was hat ihn zum Misanthropen werden lassen? Wie begannen alle diese Geschichten und wie gehen sie aus? Und das genau ist es, was Werner Friedrichs Bilder interessant macht: Sie statuieren nichts, sie sind kein Ergebnis, das man abliest. Viele Fragen. Keine Antworten. Und da ist der Betrachter, da sind Sie an der Reihe.

Herbert Glossner | Arnim Juhre | Susanne Geese | Peter Dering
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